1984/1985 FDGB-Pokal 2. Runde: BSG Chemie Velten - FC Carl Zeiss Jena 1:0

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Spieldaten
Wettbewerb FDGB-Pokal, 2. Runde
Saison Saison 1984/1985
Ansetzung BSG Chemie Velten - FCC
Ort Sportplatz an
der Germendorfer Straße
in Velten
Zeit 22.09.1984 15:00 Uhr
Zuschauer 3.500
Schiedsrichter Norbert Haupt (Berlin)
Ergebnis 1:0 (1:0)
Tore
  • 1:0 Neumann (3.)
Andere Spiele
oder Berichte

Aufstellungen

Trikotfarben
Trikotfarben
Trikotfarben
Trikotfarben
Velten
B. Müller
Strübing
Wagner, Pickel, Räthel
Neumann, Möckel, Anders
Weichmann (89. Niederhübner), Uentz (66. P. Janotta), Chr. Kohlsdorf

Trainer: Gerd Stein

Trikotfarben
Trikotfarben
Trikotfarben
Trikotfarben
Jena
Hans-Ulrich Grapenthin
Konrad Weise
Gert Brauer, Heiko Peschke, Uwe Pohl
Andreas Krause, Stefan Meixner, Mathias Pittelkow
Andreas Bielau (72. Ulf-Volker Probst), Jörg Burow, Robby Zimmermann

Trainer: Dietmar Pfeifer

Spielberichte

Mutiger Außenseiter sorgte für Sensation

Vor drei Jahren EC II-Finalist, am Sonnabend nach dem zweiten FDGB-Pokal-Auftritt (vorher bei Lok/Armaturen Prenzlau 3:1 n. V.) gegen einen Bezirksliga-Vertreter gescheitert - so hart stehen für Jena die Dinge im erfolgsleeren Raum. Von Klassenunterschied keine Spur, von einer technisch-taktisch überlegenen Spielkultur der Oberliga-Elf keine Rede. "Blamabel. Keiner stand über den Dingen. Nur die Brechstange regierte", gestand ein fassúngsloser Dietmar Pfeifer. Wie in grauer Fußball-Vorzeit ging es in der "schottischen Furche" nur munter geradeaus, einfallslos, ideenarm. Totalausfälle (Bielau, Pittelkow, Meixner) und Ausdruckslose (Pohl, Krause, J. Burow) untergehakt bis in den K. o. hinein. 24:8 Torschüsse und 12:7 Chancen zugunsten der Gäste und dennoch kein Tor! So liederlich darf man in keinem Spiel mit den eigenen Möglichkeiten umgehen, im Pokal schon überhaupt nicht.

Der Potsdamer Bezirksligazweite Velten fühlte sich stark genug, mit Jena ein Tänzchen zu wagen, und er rutschte auch nicht aus. "Den Gegner in unsere verdichtete Abwehr hineinzuziehen und dann überraschend zu kontern, dieser Stil behagte Jena überhaupt nicht. Wir sind überglücklich", machte Übungsleiter Gerd Stein seiner Freude Luft. Die heurigen Hasen (Wagner, Weichmann, Kohlsdorf) besaßen keinen Respekt, hatten Mut zum Risiko, die mit Oberliga- und Liga-Erfahrung "bestückten" Strübing, Möckel, Anders, Uentz, Neumann sorgten für Stabilität, Ruhe und Methode. Neumanns platzierter Kopfball zum frühen Führungstor stärkte den Selbstbehauptungswillen des krassen Außenseiters. Chemie wehrte sich kühl und beherrscht. Schlußmann Müller ("Das beste Spiel meiner Laufbahn") hielt Schüsse und Kopfbälle selbst aus Nahdistanz. "Ein Teufelskerl!", so Chemie-Sektionsleiter Günter Schmidt. Und als die Zeit verrann, hier der Siegeswille triumphierte und dort die Hilflosigkeit, wurde schließlich die Sensation perfekt. Sie bot viel Überdenkenswertes.

(Günter Simon in "Die Neue Fussballwoche" vom 25. September 1984)

Damals war´s, vor 19 Jahren …[1]

… als der FCC in der 2. Runde des FDGB-Pokals nach Velten reisen musste. Der Klassenunterschied zwischen Jena und der dort spielenden BSG Chemie war zwar doppelt so groß wie der zu unserem morgigen Thüringenpokalgegner, ansonsten glich sich die Szenerie: Vollprofis gegen Feierabendkicker, bei denen der Trainingsschwerpunkt auf der Schulung von Qualitäten liegt, die man zum Bestehen der dritten Halbzeit braucht, na wie bei Dirk Hempel eben. Die ganze Sache war für den gemeinen Jena-Fan an sich nicht sonderlich spektakulär, es sei denn, man ist Natural born Hennigsdorfer, nur eine knappe Stunde Fußmarsch vom Stadion der Ofenwerker aufgewachsen und hat jetzt die Chance, seiner oberhaveländischen Sippschaft die Gründe dafür näher zu bringen, warum ein Halbwüchsiger über die Hälfte des Jahres seinen Gemütszustand an den Spielergebnissen eines thüringischen Oberligisten ausrichtet.

Ich begann also, meinen Verwandten deutlich zu machen, wer vor ihrer Haus-tür alles seinen Fuß auf kargen märkischen Boden setzen würde: Conny Weise, Heiko Peschke, Lothar Kurbjuweit (Trainer)[2], Jürgen Raab und wie die Zidanes und Ronaldos damals noch alle hießen. Einer stand bei mir besonders hoch im Kurs: Hans-Ulrich Grapenthin, genannt Sprotte, ein Torhüter mit an Phlegma grenzender Seelenruhe, der sich darauf verstand, bei Millimeter an Latte oder Pfosten vorbeifliegenden Bällen keine sichtbare Gemütsregung zu zeigen, bei den wirklich gefährlichen Dingern aber hellwach war und Sachen aus dem Winkel kratzte, bei denen der Schiri wohl gedanklich schon zur Mitte gezeigt hatte (Remember EC-Rückspiel Newport County ´81!!!). Ihm wollte ich später selber nacheifern, doch da die FIFA bis heute bockig darauf beharrt, die Tormaße bei 7,32 mal 2,44 zu belassen, fanden die Erfolge eines 1,74 Meter-Recken ihre Krönung im Gewinn der Schulmeisterschaft im Kleinfeldfussball und so lohnte sich Sprottes Warten nicht, er trat mit fast 42 Jahren resignierend von der Fussballbühne ab und seitdem wurde es still um ihn. Vor einigen Jahren las ich dann in einem Jenaer Programmheft, er sei jetzt in Berlin tätig für einen international renommierten Hersteller von Mitteln zur Verätzung der Magenschleimhaut. Über die Art der Tätigkeit war allerdings nichts zu erfahren und da es der Pressesprecher wohl nicht sein wird meine dringende Bitte an alle Kids: Wenn euch mal im Urlaub auf dem Alex eine große rote Cola-Dose entgegenläuft, bitte nicht spotten oder gar schubsen; es könnte das Idol eurer Väter darunter versteckt sein.

Auf meine Hinweise, sich doch endlich um Karten für das Spiel zu bemühen, reagierten meine Onkels und Cousins eher verhalten, ich hörte sie zuweilen über mich hinter meinem Rücken tuscheln und schnappte Wortfetzen auf wie „sozial desorientiert“ und „der soll doch erst mal eignes Geld verdienen gehen“. Sie waren also Ignoranten, aber noch hatten sie Zeit es sich besser zu überlegen. Einzig Unterstützung fand ich bei meinem Cousin Wolfgang, Zeissfan seit Kindesbeinen und bekloppt genug, sich bei Schneesturm ein Testspiel gegen Union Mühlhausen anzusehen. Aber er kam ja auch aus Greiz, war angeheiratet und konnte als gewonnene Seele nicht wirklich zählen. Allerdings besaß er exklusiven Zugang zu den märkischen Kids, denn er unter-richtete als Lehrer an einer Veltener Schule und konnte so manche Verblendung beseitigen helfen, wenn er mit gebotener Strenge mahnte, seine Sympathien nicht an eine Fahrstuhlmannschaft aus der Berliner Wuhlheide zu verschwenden.

Der Tag des Spieles rückte näher und am Abend zuvor kündeten bereits die ersten lärmend durch den Ort ziehenden Zeissfans vom baldigen Fussballfest. Zu dem gehörte damals auch noch eine zünftige Schlägerei, was zu vermeiden den Jena-Fans nur gelungen wäre, wenn sie sich in Velten genauso bedeckt gehalten hätten wie es damals an der Alten Försterei angeraten war. Offenbar hatte mein Cousin Wolfgang mit seiner Botschaft nicht alle erreicht und so droschen sich die ortsansässigen Unioner mit den Blaugelbweißen bis die BePo kam. Es wäre auch vermessen gewesen anderes anzunehmen, wenn die Arbeit bei der LEW oder dem Stahlwerk Hennigsdorf den Rahmen bildet, in dem sich Schöngeist und Anmut entwickeln können und einen Typus von Fussballfan gebiert, mit dem man entweder gut befreundet sein oder dessen Nähe man meiden sollte. Letzteres gelang mir in der Regel ganz passabel, nur einmal machte ich den Fehler, meine Jena-Anstecknadel nach dem Besuch eines Fussballspiels nicht im Portemonaie verschwinden zu lassen und prompt standen mir beim Aussteigen aus dem Zug in Hennigsdorf-Nord fünf Unioner gegenüber. Wider Erwarten brachte ich das Leben davon, denn als sie mich problemlos passieren ließen, bemerkte ich den Grund ihrer Hingabe zum 1. FCU, waren sie doch mit solch unglaublicher Blindheit geschlagen, dass sie des verräterischen Utensils an meiner Jacke nicht gewahr wurden. (Vielleicht wollten sie aber auch nur einfach nicht ihre Bahn verpassen?).

Über das Spiel an sich möchte ich den Mantel des Schweigens legen. Wolfgang hatte seinen Schülern am Tag zuvor noch verkündet, er werde morgen Grapenthin zum Kaffee einladen, denn einen Torwart würde Jena ohnehin nicht brauchen. Sprotte ließ sich dann aber doch irgendwie von Kurbjuweit beschwatzen und erschien wie gewohnt zwischen den Pfosten. Zu tun hatte er an dem Nachmittag wirklich nichts, sieht man von der Szene in der ersten Halbzeit ab, in der er den Ball aus dem Netz holen musste. Danach fand er wieder die Muße, sich eine Jenaer Angriffswoge nach der anderen anzuschauen, die einfalls- und ergebnislos auf das Veltener Tor rollte, bis der Schiri ein Einsehen hatte und dem unwürdigen Geschehen ein Ende setzte. Auf dem Weg in die Kabine trieb Sprotte noch Eigenwerbung, indem er die Autogrammwünsche der Veltener Kids mit einem netten „Haut ab ihr Bauerntölpel!“ beschied und der FCC hatte eine der peinlichsten Niederlage seiner Vereinsgeschichte zu verdauen und mit ihm seine Fans. Ich erklärte mein Missionierungswerk freiwillig für beendet und Wolfgang blieb so lange krank, bis das Spiel aus dem Langzeitgedächtnis seiner Schüler getilgt war, was bei den Märkern cirka drei Tage gedauert haben dürfte. Seit dem lebe ich in der Hoffnung, dass das Gefühl der unglaublichen Schmach nach solch einer Niederlage von Spielergeneration zu Spielergeneration als beständige Warnung weiter vermittelt wird, aber wie nach dem Auswärtsmatch bei den Cottbus-Amas letzte Saison scheint diese Tradierung mitunter ein Stille-Post-Spiel zu sein und wird uns nicht davor gefeit machen, immer mal wieder ähnliches zu erleben, aber bitte, bitte nicht schon morgen.

In vorsichtiger Erwartung …

--Al Knutone, 29. Aug 2003

  1. Der Spielbericht wurde vor dem Pokalspiel im August 2003 beim SC 1903 Weimar veröffentlicht
  2. Hier irrt der Autor fast 20 Jahre später, da der Trainer bei jener Partie noch Dietmar Pfeifer hieß.