2005/2006 34. Spieltag: FC Rot-Weiß Erfurt - FC Carl Zeiss Jena 0:1

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Spieldaten
Wettbewerb Regionalliga, 34. Spieltag
Saison 2005/2006, Rückrunde
Ansetzung FC Rot-Weiß Erfurt - FCC
Ort Steigerwaldstadion in Erfurt
Zeit 29.04.2006, 14:00 Uhr
Zuschauer 16.137
Schiedsrichter Schalk (Augsburg)
Ergebnis 0:1
Tore
Andere Spiele
oder Berichte

Aufstellungen

Erfurt
Orlishausen
Kühne, Holst, Bertram, Six (77. Aris)
Schnetzler, Hanke (61. Kumbela), Schnuphase (89. Anicic), Brunnemann
David, Hebestreit

Trainer: Dotchev


Jena
Christian Person
Krzysztof Kowalik, Stefan Kühne, Toni Wachsmuth
Tobias Werner, Ronny Thielemann (46. Mark Zimmermann), Alexander Maul, Torsten Ziegner, Kevin Schlitte
Fiete Sykora (89. Maik Kunze), Sebastian Hähnge (64. Daniel Zaccanti)

Trainer: Heiko Weber


Die Götter sind wieder mit uns! (Spielbericht)

Jahrelang ließen sie uns schreiten durch ein Tal aus Finsternis. Jahrelang war die Enttäuschung unser treuer Begleiter. Noch sind wir fern des Ortes, wo Milch und Honig fließen. Doch wir sind nicht länger verdammt, uns allein vom trockenen Brot der Erinnerung zu nähren, der Erinnerung an die früheren, die glanzvollen Zeiten. Wir leben wieder im Jetzt.

Es war kurz vor dem Ende des Spiels, da hielten sie Rat, die Götter, um zu entscheiden, ob sich hernach 4000 Zeissfans ungläubig an den Kopf fassen sollten, wie es denn sein könne, dass man bei eigener Führung im Vorwärtsgang die rechte Jenaer Abwehrseite völlig entblößt und den Gastgebern damit erlaubt, wenige Sekunden vor Abpfiff im eigenen Stadion zu kontern und fast unbedrängt eine Flanke an den blaugelbweißen Fünfmeterraum zu schlagen. Und die Götter, die uns so selten gewogen waren in den kargen Jahren, kamen zum Schluss, den Daumen für Jena nicht zu senken und ließen Erfurts Kumbela den Ball im Liegen an die Latte schießen und von dort direkt zu Person springen; nicht auf dessen Brust, nicht auf seine Oberschenkel, von wo der Ball vielleicht ins Tor gesprungen wäre; nein, direkt in die Arme unseres Keepers. Und der hielt den Ball fest, ganz fest, und mit ihm warfen sich in Gedanken 4000 Zeissfans auf die Kugel.

Gut anderthalb Stunden zuvor war Person das Leder noch aus den Händen geglitten auf dem feuchten, rutschigen Geläuf, und er musste zweimal zupacken, um den Ball sicher zu haben, nachdem Erfurts Bertram in der 8. Minute bei der ersten großen Chance der Gastgeber aus spitzem Winkel kurz und trocken abgezogen hatte. Ausgerechnet Bertram, der sonst eigentlich kein Haudrauf ist, zumindest nicht in der Defensive, denn spätestens seit dem 1:1-Ausgleich beim letzten Erfurter Gastspiel in Düsseldorf weiß man ja, dass RWE-Verteidiger Tom Bertram seine Verteidigerrolle gern modern interpretiert und nicht den klassischen Ausputzer spielt, der einfach nur die Bälle aus dem Strafraum drischt.

Es sollte nicht die letzte Möglichkeit für Erfurt in diesem Spiel sein, das genauso lief, wie man es angesichts der Tabellenkonstellation und des Wetters erwarten und als Zeissfan fürchten musste. Kampf dominierte, nicht Kombinationsfußball. Jena in der Anfangsphase nur mit ein, zwei vernünftigen Angriffen über die Flügel, doch bevor es wirklich gefährlich wurde, war der Ball schon wieder weg. Nur in der 18. Minute, da war die Kugel nicht so einfach zu stiebitzen, denn der FCC bekam wenige Meter vor der Grundlinie einen Freistoß zugesprochen, Ziegner legte sich den Ball zurecht, schaute zur Mitte, wo sich Alexander Maul bereit hielt, und zog die Flanke zum Fünfmeterraum. Und während Mauls Gegenspieler Kühne treudoof stehenblieb, als sei er ein Dackel, der von grenzdebilen Omas zum Spanferkel gemästet werden soll, stürmte Jenas Verteidiger ein paar Schritte voran, schraubte sich hoch und rammte den Ball einem Dolche gleich unter die Querlatte.

Dieser Stich gegen Erfurt saß, doch er sollte nicht tödlich sein, auch wenn kurz darauf Fiete Sykora bei seinem Schuss von der Strafraumgrenze die Möglichkeit besaß, sofort nachzulegen. Aber Orlishausen hatte den Ball sicher und beförderte ihn wieder in Richtung Gästehälfte, in der sich das Geschehen ab ungefähr der 30. Minute mehr und mehr abspielte. Jenas Verlegenheitsabwehr war gefordert, und nicht nur die. In der 37. strich ein Schuss von Erfurts Holst noch knapp über den Kasten, ohne das Jenas Keeper eingreifen musste, aber in der 41. war die ganze Person gefordert, als Schnetzler im Gästestrafraum Maul austanzte und sich nur noch Person gegenüber sah. Doch die gelbe Wand im Jenaer Tor war nicht zu überwinden, denn unser Keeper lenkte den Schlenzer des Erfurters noch um den Pfosten. Aufatmen im Zeissblock, wie schon zwei Minuten zuvor, als ein Hebestreit-Kopfball am Außenpfosten landete.

Es sollte die beste Chance für Erfurts Kapitän im Spiel bleiben, der sonst eher damit beschäftigt war, seine schon aus dem Pokalspiel des letzten Herbstes bekannten „Zeichen“ zu setzen: Foulen, Jenas Torwart angehen, den Schiri belöffeln. Aber was soll man auch machen, wenn man in fußballerischer Hinsicht keine Hochbegabung ist? Normalerweise kompensiert Ronny Hebestreit diesen Nachteil ja geschickt, darf er doch mit Fug und Recht von sich behaupten, die intellektuelle Strahlkraft eines belegten Brötchens zu besitzen, womit er nach Erfurter Maßstäben als überaus charismatisch gelten kann und folglich die Kapitänsbinde der Rot-Weißen trägt. Bei aller Rivalität wünsche ich den Erfurtern deshalb nur von ganzem Herzen, dass der Ronny ihrem Verein noch lange in exponierter Stellung erhalten bleibt, bis man ihm dann irgendwann mal ein Denkmal errichtet oder ein repräsentatives Gebäude nach ihm benennt, so wie bei der unvergessenen Miss „Nightmare on Ice“ Gunda Niemann-Stirnemann, die das Fernsehpublikum ja nicht minder gut als Hebestreit mit bleischwer durchgeistigten Kommentare zu unterhalten wusste. Es muss ja nicht gleich eine Sporthalle sein, die sich mit seinem Namen schmückt; vielleicht tut's ja fürs erste auch ein Dixi-Klo.

Nachdem der Schiri einem Erfurter Abseitstor vor der Pause die Anerkennung verweigerte, bot sich für Ziege kurz nach dem Wechsel die Riesenchance zur beruhigenden 2:0-Führung, als er einen mehr als Schuss denn als Flanke gedachten Ball von Tobias Werner nicht richtig traf und aus gut 3 Metern das leere Tor verfehlte. So entwickelte sich mein Blick zur Uhr mehr und mehr zur zwanghaften Handlung, denn wenn auch das Spiel nun deutlich zerfahren wurde und es weder wirklich kreativ noch zwingend war, was die Erfurter trotz ihrer Feldüberlegenheit zeigten, so war der Vorsprung doch zu gering, um sich als Zeissfan in Sicherheit zu wiegen, zumal es zu selten Entlastung nach vorn gab. Die Hoffnung auf erfolgreiche Jenaer Konter erhielt erst neue Nahrung, als die Einwechslung von Zaccanti für den glücklosen Hähnge das Spiel nach vorn so belebte wie schon in der Vorwoche. Doch das blieb leider nicht die einzige Parallele zur Partie gegen die Bremer Amas, denn auch die Chancenverwertung stand in bemerkenswerter Kontinuität zum torlosen Remis des letzten Sonntags, verpasste doch der Argentinier zweimal die Möglichkeit, bei seinen Sololäufen in der 78. und 79. Minute dafür zu sorgen, dass man im Zeissblock bereits 10 Minuten vor Ende das „Oh, wie ist das schön!“ anstimmt.

So hatte das Leiden noch kein Ende und fast wäre im Ergebnis der eingangs geschilderten Szene noch lähmendes Entsetzen eingetreten bei den Blaugelbweißen auf den Rängen und dem Rasen. Doch dann war alles nach quälend langen vier Nachspielminuten überstanden und es gab im dritten Duell dieser Saison zwischen Jena und Erfurt den dritten Thüringer Sieg über die doktrinäre Enklave zu feiern. Es war kein gutes, kein schönes Spiel. Der Jenaer Sieg war zweifelsohne glücklich, aber trotz allem verdient, auch wenn man Letzteres in Erfurt wohl anders sieht; doch Fußball ist ein Sport, bei dem sich die Qualität des Spiels nicht nach der Zahl der erspielten Chancen sondern der erzielten Tore bemisst, und wenn man es eben nicht versteht, aus dutzenden Ecken und Freistößen in Strafraumnähe wirkliche Gefahr herauf zu beschwören und es an Cleverness mangelt, wenigstens eine der zahlreichen Möglichkeiten zu nutzen, dann ist man schlussendlich auch nicht der Bessere, so ungerecht und oberlehrerhaft sich dieses Urteil angesichts der Erfurter Feld- und Chancenvorteile auch anhören mag.

Für derlei Gedankenspiele hatte ich nach dem Abpfiff noch wenig Sinn. Ich fühlte mich gleichermaßen erleichtert wie erschöpft. Es war ein Augenblick nicht allein des Triumphes, sondern auch ein Moment, um inne zu halten und zurück zu schauen, denn es ist nur gut zwei Jahre her, dass ich mich gleichfalls voller Hoffnung auf den Weg nach Thüringen machte, in der Erwartung, mitzuerleben, wie der FCC mit einem Heimsieg über Plauen die Vorentscheidung über den Staffelsieg schafft und damit die Basis legt für den herbeigesehnten Aufstieg. Damals erlebte ich eine der schwärzesten Stunden des Thüringer Fußballs und fuhr geschlagen und zertreten wieder nach Hause, in dem Wissen, dass mich dort nicht Trost erwartet sondern die Frage meiner Frau, ob ich es denn nun endlich begriffen habe, dass die, denen ich auch in der Oberliga meine Treue schenkte, nicht halb so viel an dem Verein hängen wie ich. Und ich sah meine Mannschaft zu nah am Abgrund, der da heißt Bedeutungslosigkeit, um meiner Frau an jenem Tag zu widersprechen, weil mir der Glaube fehlte, es könnte in Jena jemals wieder aufwärts gehen, wo mehr denn je drohte, im Soge der damaligen rot-weißen Aufstiegseuphorie könnte die Hingabe von Fans und Sponsoren völlig in die Tiefe gerissen werden.

Wer diese Zeiten durchlitt, der weiß besser als andere zu würdigen, was Benno und seine Mannen seitdem geleistet haben. Und der weiß auch, wie leicht ein vermeintlich sicherer Vorsprung verspielt werden kann. Darum fehlt mir das Verständnis für irgendwelches Vorentscheidungsgelaber, erst recht nach dem 0:0 im letzten Heimspiel. Ich kann nicht ausmachen, dass Emden und Düsseldorf umso vieles schlechter sein sollen als die Bremer Amas, ich kann nicht glauben, dass Lübeck mit derselben Blindheit geschlagen ist wie unser Erzrivale aus der putzigen Stadt. Zu deutlich klingt mir noch im Ohr, was Jenas einstiger Stürmer Jan Zimmermann angesichts eines 5-Punkte-Vorsprungs auf FC Sachsen Leipzig vor gut 3 Jahren sagte: „Wir können uns nur selber schlagen!“

Er sollte Recht behalten. Leider.

--Al Knutone 23:45, 30. Apr. 2006