2004/2005 Relegation-Hinspiel: MSV Neuruppin - FC Carl Zeiss Jena 0:2

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Spieldaten
Wettbewerb NOFV-Oberliga, Relegation
Saison Saison 2004/2005, Hinspiel
Ansetzung MSV Neuruppin - FCC
Ort Volksparkstadion in Neuruppin
Zeit So. 29.05.05 14:00
Zuschauer 5.850
Schiedsrichter Helmut Bley (Sehmatal)
Ergebnis 0:2 (0:2)
Tore
Andere Spiele
oder Berichte

Aufstellungen

Neuruppin
Marian Unger
Andreas Biermann, Martin Neubert, Steffen Seering
Aleksandar Simic (68. Ugurtan Cepni)
Martin Neumann (75. Martin Weller), Jan Mutschler, Denis Novacic, Markus Zschiesche
Erhan Aydin (64. Salvatore Rogoli), Aymen Ben-Hatira

Trainer: Christian Schreier

Jena
Daniel Kraus
Faruk Hujdurovic, Thorsten Görke, Ralf Schmidt
Olaf Holetschek
Tobias Werner, Ronny Thielemann, Torsten Ziegner, Alexander Maul (70. Felix Holzner)
Mark Zimmermann (78. Miroslav Jovic), Manuel Endres (60. Sebastian Hähnge)

Trainer: Heiko Weber

Spielbericht

Eintrittskarte

Erst haderte ich noch ein wenig mit mir, nicht dem Sirenenruf Tobias Gerlachs gefolgt zu sein, des von mir gottgleich verehrten Großen Vorsitzenden des Fanclubs „Die 96er“, der mich in das Sündenbabel Berlin locken wollte und mir sicher Dutzende an Gespielinnen zu getrieben hätte, um meine Wollust zu stillen. Doch irgendwann arrangierte ich mich damit, dass die Fanfete in Dallgow nicht unter Frauenüberschuss litt. Spätestens als Gunner mich in die Metaphysik der Fanseele eines Viertliga-Supporters einführte und mir bis dato wildfremde Menschen in Reaktion auf mein Outing als Forumstroubadour lobhudelten und mit Freibieren um meine Gunst buhlten, da war ich wieder mit mir im Reinen, und so wurde es denn doch noch ein geiler Abend. Der Tanzsaal erhielt nach dem ersten „YNWA“ schnell seine Weihe als Tempel der Verächter intensiver Körperpflege und beim Videoschauen der 108 Jenaer Oberligatore gab’s die für eine richtige Familieatmosphäre essentielle Keilerei unter ein paar Schlagetods.

Nebenbei erhielt ich Einblick, welche Gesichter sich hinter Nicks wie „Goethes Faust“ und „Lanzelot“ verbergen und nachdem ich meine Neugier gestillt hatte, konnte ich schließlich leicht betütelt die jungen Heißsporne um Traudel und die Titanen ihrem ungewissen Schicksal überlassen, bis ich mich kurz vorm Wegnicken noch mit der Frage beschäftigen musste, wen aus meinem Gesinde ich nach Heimkehr dafür vierteilen werde, dass er es vergaß, meinen Schlafsack mit einzupacken. So liebe ich Fußball. (An dieser Stelle an dickes Dankeschön an Specki aus Nauen, der die ganze Partie nicht nur organisiert hat, sondern selbst noch die Unkosten aus eigener Tasche bezahlte. Auf denen sollte man ihn nicht sitzen lassen …)

Anderentags braucht ich eine ganze Weile, um den passenden Schraubenzieher zum Öffnen meiner Augenlider zu finden, doch dann ging’s kurz nach Morgengrauen um 11 Uhr auf die Autobahn und ich reihte mich ein in die Prozession Hunderter Zeissfans, die auf der A24 ein blaugelbweißes Band der Sympathie nach Neuruppin gewunden hatten. Der Kater wich dem Rausch, denn jeder Parkplatz war ein in den Jenaer Farben erstrahlender Schrein, an jeder Raststätte lagen sich Zeissfans in den Armen, um die kommende Auferstehung der ewigen Nummer 1 des DDR-Fußballs zu feiern. Es war berauschend, viele alte Kämpen wieder zu sehen, es rührte mich, in dem Strom derer mit zu schwimmen, die überall aus Ost und West, aus Nord und Süd angereist waren, um gemeinsam mit zu erleben, wie der FCC das bedrückendste Kapitel seiner Vereinsgeschichte ad acta legen würde. Euphorie herrschte – doch genau bei diesem Gefühl gab es in den letzten Jahren die größten Enttäuschungen.

So wartete ich denn gemeinsam mit knapp 3000 anderen Blaugelbweißen zusehends unruhiger auf den Anpfiff. Im Beiprogramm gab’s vor Anpfiff eine unerschrockene Schar Bergaer und Rudolstädter Don Quichottes zu bewundern, die in Ermangelung streitsüchtiger Windmühlen im Begrenzungszaun ein nicht minder gefährliches Untier ausgemacht hatten, mit dem sich prima die Kräfte messen ließen. Alsbald rückten die furchtlosen Recken dem schröcklichen Monster auf den Leib, stiegen ihm aufs garstige Haupt und warfen es schließlich bar jeder Furcht zu Boden, dass es eine wahre Freude ward. Doch damit waren Heldenmut und Kampfeslust noch lange nicht gestillt und so musste Jenas Präsident zur Halbzeit den Verwegenen mitteilen, dass eine Wiederholung dieser wahrhaft ritterlichen Tat zum Spielabbruch führen und einen sportlichen Erfolg des FC Carl Zeiss in sein Gegenteil verkehren würde.

Die Neuruppiner erwiesen sich nicht nur in dieser Szene der für sie ungewohnten Situation gewachsen. Obwohl sich im Volksparkstadion die zehnfache Zahl an Besuchern als gewöhnlich einfand, muss man den Einheimischen das Kompliment machen, logistisch auf die Partie sehr gut vorbereitet gewesen zu sein. Da ließ es sich verschmerzen, dass die Hupfdohlen-Mode auch vor der Brandenburgischen Provinz nicht halt macht und sich vor Anpfiff ein paar märkische Landeier erfolgreich daran versucht hatten, einer Art „Lord of the Dance“-Interpretation die Grandezza einer Bauernpolka zu verleihen. Nachdem die Elefantenmädchen den Rasen fertig gewalzt hatten, konnte es dann endlich losgehen. Und wie es losging: Der FCC sofort in der Offensive, die Gastgeber vor sich her treibend und nur auf den Augenblick wartend, wann Neuruppin so in den Seilen hängt, dass man einen Wirkungstreffer erzielen kann. Der MSV taumelte, der Ball blieb in der Prignitzer Hälfte, Werner nahm ihn auf, begab sich auf eine Wanderung durch die Mark Brandenburg und schloss diese mit einem Schuss ab, der zwar abgeblockt, jedoch vom allmächtigen Fußballgott direkt in den Lauf Zimmes gelenkt wurde und dessen Schuss ins lange Eck wurde zum Auslöser multipler Orgasmen im Zeissblock: YEAH!!! SUPERJENA!!! GOIL!!! Der Frust der letzten 4 Jahre schmolz mit diesem Treffer schneller, als beim RWE die Kassen leer sind.

Neuruppin brauchte gut eine Viertelstunde, um sich von diesem Schock zu erholen. Dann wurden die Brandenburger selbst aktiver, woran besonders Mutschler mit der Nummer 5 seinen Anteil hatte, der so über den Platz flitzte, als habe er unter der Woche seinem Sohn die Wirkungsweise eines Asthma-Nasensprays demonstriert. Sonderlich gefährlich wurde der MSV allerdings nicht, auch wenn das Spiel der Prignitzer bis zum Sechzehner ganz possierlich wirkte, doch vorm Jenaer Strafraum war dann meist Schluss mit Fußball-Preußens Glanz und Gloria, denn die Neuruppiner konnten sich über die gesamte Spieldistanz nicht von der Vorstellung lösen, mit „Dreimal am Strafraum den Ball auf den anderen Fuß legen“-Aktionen ließe sich gegen Jenas Verteidiger die gleiche Wirkung erzielen wie gegen Abwehrrecken von Anker Wismar, dem SV Yesilyurt oder anderer Bolzbruderschaften aus dem Oberliganorden. Nur einmal stockte den Zeissfans der Atem, als eine Kopfballrückgabe Hujdurovics in der 29. Minute zur bis dato größten Gefahr für den Jenaer Kasten wurde. Der nicht nur in dieser Szene aufmerksam mitspielende Daniel Kraus bewies aber dem eigenen Anhang, dass beim FC Carl Zeiss die Zeitrechnung des Jahres 1 nach Grasser&Berbig-Fortgang begonnen hat.

Die Jenaer Angriffe hatten da eine andere Qualität, sei es bei dem Konter in der 20. Minute, als Zimmermann nach Ziegner-Pass nur vom Heimkeeper an einem Doppelpack gehindert werden konnte oder beim „Hopp oder Top“- Schuss desselben Spielers in der 42. Minute. Eine noch wesentlich größere Möglichkeit zum Erhöhen bot sich zuvor für Manuel Endres (36.), als er aufs MSV-Tor zu lief, Unger seinen Lupfer abwehren konnte und Jenas Stürmer beim Versuch, nachzusetzen, ins Straucheln geriet. Kurz vor dem Halbzeitpfiff war der FCC-Goalgetter jedoch wieder auf den Beinen sorgte für die Erlösung des tausendfachen Flehens der Zeissfans nach einem beruhigenden zweiten Treffer vor der Pause. Görke wurde auf rechts von seinem Gegenspieler nicht angegriffen, die Neuruppiner Innenverteidiger setzten wie MSV-Keeper Unger ebenfalls auf „Laisser-faire!“ und straften den zum Fünfmeterraum geschlagenen Flankenball mit solch demonstrativer Ignoranz, dass Manuel „El Knipser“ Endres bei einer derartigen Suppenkasperei wenig Mühe hatte, das Leder aus Nahdistanz ins Netz zu köpfen. Der Fußballgott war wieder mit Jena.

Nach dem Wechsel machte der FCC von seinem Privileg Gebrauch, es bei hochsommerlichen Temperaturen und mit einer beruhigenden Führung im Rücken auf des Gegners Platz etwas bedächtiger angehen zu lassen, ohne dabei die Kontrolle über das Spiel zu verlieren. Gute Chancen blieben nun hüben wie drüben Mangelware, aber so lange bei diesem Spielstand Minute um Minute verstrich, mochte man dem Motto folgen, „Gut Ding soll Langeweile haben“. Zur Steigerung des Unterhaltungswertes versuchten sich Ziegner und seine Nebenleute zwar stellenweise im Schönspielen, aber das war eine Spur zu lässig, um für echte Gefahr zu sorgen, denn die Konzentration und Präzision im Jenaer Angriffsspiel ließ nach. In der Abwehr hingegen leistete man sich solchen Luxus nicht, sondern blieb hochkonzentriert bis zum Schluss, wobei Hujdurovic heraus zu heben ist, der bei einer gefährlichen MSV-Flanke in der 70. Minute in allerhöchster Not klärte und auch sonst durch hervorragendes Stellungsspiel glänzte.

In der 83. Minute konnte jedoch auch Faruk nicht mehr helfen, denn ein platziert aus gut 20 Metern außen an der Mauer vorbei aufs kurze Eck getretener Freistoß der Neuruppiner bedrohte den Jenaer Kasten. Kraus hielt jedoch im großen Stil und wäre wohl auch eine Minute später zur Stelle gewesen, als ein MSV-Schuss von der Strafraumgrenze knapp am Kasten vorbei strich. Es blieben die beiden einzigen echten Möglichkeiten der Brandenburger in der zweiten Hälfte, die in der Nachspielzeit noch Glück hatten, dass Jovic eine Eingabe des eingewechselten Hähnge am Fünfmeterraum stehend knapp neben den langen Pfosten setzte. Doch der Sieg war bereits vorher in Sack und Tüten und so konnte jeder ausgewechselte FCC-Spieler klatschend Danke in Richtung Zeissblock sagen und bei jeder Ecke vor der Gästekurve schickten Ziegners Mannen wenigstens einen stummen Gruß zu ihrem Anhang und erwiesen ihm dadurch die Referenz, an dem wohl wichtigsten Jenaer Sieg der letzten fünf Jahre einen nicht unbedeutenden Anteil zu besitzen.

Nach alle den Enttäuschungen der vergangenen Spielzeiten tat es ungemein gut, zu erleben, wie Fans und Mannschaft diesen Erfolg gemeinsam genossen, und keiner im Stadion wird bestreiten können, dass dieses 2:0 für Jena nicht hoch verdient war, sieht man mal von einem faktenresistenten Dampfplauderer aus Schnappifurt ab, der sich nach eigener Aussage 10 Minuten vor Abpfiff auf den Heimweg machte, um wahrscheinlich pünktlich zum Abendbrot ein Reinigungsgerät zu goutieren, mit dem andere ihren Hof kehren. Damit verpasste die eingeschnappte Leberwurst, wie sich nach Spielschluss Hunderte Zeissfans zu einer Fete auf jenes weite Feld begaben, auf dem zuvor die Saat für den Jenaer Regionalligaaufstieg gelegt wurde.

Lasst uns die Früchte der Mühen dieser Saison am Samstag gemeinsam ernten.

--Al Knutone